28.12.2021

Das war 2021

«Das Medienpaket ist teils rückwärtsgewandt»

Im Medienjahr 2021 ist viel passiert. persoenlich.com blickt zusammen mit Medienwissenschaftler Matthias Künzler auf die wichtigsten Ereignisse des Jahres zurück. Ein Gespräch über Medienpolitik, Marktlücken und Milchzähne.
Das war 2021: «Das Medienpaket ist teils rückwärtsgewandt»
Matthias Künzler leitet an der Freien Universität Berlin den Lehrstuhl «Kommunikationspolitik & Medienökonomie» und ist zudem beim Institut für Multimedia Production (IMP) an der Fachhochschule Graubünden tätig. (Bild: zVg, Grafik: Corinne Lüthi)
von Christian Beck

Herr Künzler, wenn Sie das Medienjahr 2021 mit einer Schlagzeile betiteln müssten, wie würde diese lauten?
Die neue Lust an der Medienpolitik.

Und weshalb haben Sie sich für diese Schlagzeile entschieden?
In der Medienpolitik ist dieses Jahr viel Interessantes geschehen: Es wurde nicht nur das neue Medienförderungspaket während des gesamten Jahres ausgiebig debattiert und verabschiedet, sondern weitere Vorlagen wurden vorbereitet: Im Entwurf für ein neues Filmgesetz wurde eine «Lex Netflix» eingebaut, die die Streamingsender verpflichtet, in die heimische Filmbranche zu investieren. Und es gibt Pläne für ein Leistungsschutzrecht, das zumindest auf dem Papier erlauben würde, Schweizer Verlage durch die internationalen Onlinekonzerne zu entschädigen. Auf politischen Druck hin hat das UKW-Radio eine vermutlich letzte Galgenfrist bis Ende 2024 erhalten. Nicht zuletzt zeigt das Bakom den Privatsendern gegenüber zumindest ein paar Milchzähne und hat ein Verfahren gegen konzessionierte Privatsender eingeleitet, weil sie zu wenig Regionalinformationen gesendet haben. Gleichzeitig wollen zahlreiche Parlamentarier die Medienfreiheit beschränken, indem sie den Schutz der Privatsphäre auf gesetzlichem Weg enger definieren.

Gelitten hat der Medienplatz Bern. So zügelten Anfang Dezember rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Radio SRF nach Zürich (persoenlich.com berichtete). Spielt es eine Rolle, woher Radionachrichten kommen?
Technisch gesehen immer weniger: Die Beiträge lassen sich überall produzieren und schneiden. Für den Inhalt ist dies jedoch relevanter: Die Verankerung der Medienschaffenden kann sich durchaus auf Ideen für Geschichten, Recherchetiefe und Zugänglichkeit zum Publikum auswirken.

In Zürich ist neu das Audio-Kompetenzzentrum für Aktualität und Podcasts, in Bern das Audio-Kompetenzzentrum für Hintergrund, Vertiefung und Analyse. Halten Sie diese Aufteilung für sinnvoll?
Dies ist schwierig abzuschätzen. Die Aufteilung scheint eher ein Zugeständnis an Bern zu sein, damit der Hauptstadtkanton einen Teil seiner Radioproduktion in der Region behalten kann.

«Bei der SRG hat der Standort Bern eine lange Tradition»

Sie sagen es: Dank der Digitalisierung kann man eigentlich von überall her alles produzieren. Weshalb sorgte der Umzug der Nachrichtenredaktion nach Zürich für so viele Diskussionen?
Bei der SRG hat der Standort Bern eine lange Tradition, gerade auch in Abgrenzung gegenüber Zürich. Zudem könnte es sein, dass gerade Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier sich sorgen, dass politische Themen weniger vertiefend abgedeckt werden. Nicht zuletzt liegt Bern am Röstigraben und hat deshalb mehr Sensibilität für die Belange der Westschweiz als Zürich.

Bleiben wir gleich in Bern: Die ungleichen Redaktionen Berner Zeitung und Bund wurden im Oktober zusammengeführt. Trotzdem sollen beide Titel weiterhin mit eigener DNA erscheinen. Kann das gelingen?
Auf Marketing- und Brandingebene ja, inhaltlich ist dies jedoch fraglich.

Ist der Ist-Zustand mit zwei Berner Zeitungen aus einer Redaktion nicht nur ein Zwischenschritt?
Vermutlich ist es bereits der finale Schritt: Die grösstenteils gleichen Inhalte werden auf zwei Titeln etwas unterschiedlich aufbereitet – wie es Somedia mit der Südostschweiz und dem Bündner Tagblatt bereits vorgemacht hat.

Ihre Prognose: Wann stampft Tamedia einen der beiden Zeitungstitel ein?
Noch lange nicht, da die Fixkosten gesenkt sind und die Produktion derselben Inhalte auf zwei Titeln nicht zu übermässig hohen Kosten führt. Sollte doch einer der Titel eingestellt werden, wird dies vermutlich der kleinere der beiden sein: der Bund.

«Die Zusammenlegung von Bund und BZ verärgert einen Teil des Berner Medienpublikums»

Es entstanden in diesem Jahr auch neue Medien. So wird in Bern das Onlinemedium Hauptstadt aufgebaut. Welche Chancen geben Sie diesem Projekt?
Gute Chancen. Die Zusammenlegung von Bund und BZ verärgert einen Teil des Berner Medienpublikums, das deshalb gerne bereit sein wird, das neue Projekt zumindest in der Anfangsphase auch finanziell zu unterstützen. Zudem haben wir in anderen Regionen gesehen, dass lokale Onlineportale wie Tsüri, Bajour oder Rheintal24 et cetera in ihrer Nische bislang mehrere Jahre überleben konnten.

Auch die Romandie wurde um Medien reicher: Watson und Blick expandierten in die Westschweiz. Weshalb zog es die Deutschschweizer Medien über den Röstigraben?
Offenbar scheint die Einstellung der Printausgabe von Le Matin und der Abbau bei Le Temps in den Augen der Verlagsverantwortlichen eine genügend grosse Marktlücke hinterlassen zu haben, dass sie in der Westschweiz Wachstumschancen sehen. Die neuen technischen Möglichkeiten in der Produktion erlauben vermutlich auch, gewisse Skalenvorteile über die Sprachgrenzen hinaus zu nutzen.

Ist der Markt in der Romandie nun gesättigt – oder gar übersättigt?
Meines Erachtens gibt es Anzeichen für eine Sättigung: So wurde das erst vor ein paar Jahren lancierte Onlineportal Heidi.news mit Le Temps zusammengelegt. Eine Übersättigung wird dann vorhanden sein, wenn entweder Watson oder Blick die Westschweiz wieder verlässt.

Just am «Tag der peinlichen Momente», den die Amerikaner jeweils am 18. März feiern, hat das Satiremagazin Nebelspalter sein neues Onlinemagazin lanciert. War der Tag gut gewählt?
Vielleicht war es Selbstironie? Die Frage können wir getrost dem Publikum überlassen: Es und die Investoren werden darüber entscheiden, ob sie den Relaunch des Satiremagazins peinlich finden und sich davon abwenden oder ein eher rechts stehendes Polit-Satiremagazin mögen.

Viel zu diskutieren gab in diesem Jahr auch die Medienförderung. Weil das Referendum ergriffen wurde, entscheidet am 13. Februar 2022 das Stimmvolk. Welche Argumente sprechen für die Fördermassnahmen?
Das Hauptargument ist die Entwicklung der Werbeeinnahmen, die in den letzten zehn Jahren bei den Tageszeitungen eingebrochen sind, während die Werbeeinnahmen von Online-Kleinanzeigen, Suchmaschinen und Social Media hingegen massiv wuchsen. An diesen Wachstumstopf kommen die schweizerischen Medien jedoch nicht heran, da es sich um ganz andere Geschäftsmodelle mit sehr tiefen 1000er-Kontaktpreisen handelt, die es nicht erlauben, die Fixkosten für aufwendigen Journalismus einzuspielen. Eine Ausnahme sind die Kleinanzeigen, die aber auch nicht mehr so gut laufen wie auch schon – ansonsten hätten TX Group und Ringier ihre Cashcows aus diesem Bereich nicht in einem Joint Venture zusammengelegt.

Und was spricht dagegen?
Dass die Vorlage teilweise rückwärtsgewandt ist: In die Posttaxenverbilligung aber auch die bereits gut unterstützten konzessionierten Privatfernseh- und -radiosender wird verhältnismässig viel Geld, in die innovativen Onlinemedien wenig investiert.

«Ich tippe auf knapp angenommen»

Wagen Sie eine Prognose, wie das Abstimmungsresultat am 13. Februar lauten wird?
Ich tippe auf knapp angenommen. Allerdings ist auch denkbar, dass die Vorlage abgelehnt wird, da sich eine unheilige Koalition aus «Techies», welche lieber Onlinemedien fördern möchten, Medien-, Staats- und andere Skeptiker sowie Wirtschaftsliberalen bilden könnte.

Sie befassen sich beruflich mit Medien. Wie sieht eigentlich Ihr persönlicher Medienkonsum aus?
Stark mobilgetrieben: News lese ich hauptsächlich auf dem Smartphone, TV schaue ich oft über die Rückspulfunktion oder Netflix und Co.

Sie sind unter anderem Projektleiter am Institut für Multimedia Production in Chur. Wann hatten Sie das letzte Mal eine Zeitung in den Händen?
Dies ist so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnere.

Um den Bogen zu schliessen: Welche Schlagzeile wünschen Sie sich für das kommende Medienjahr?
Die neue Lust an Medienpolitik hat die publizistische Vielfalt und den Journalismus gestärkt.



In der Serie «Das war 2021» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.



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Kommentare

  • Luzius Theiler, 15.12.2021 14:01 Uhr
    Wer hat Zugang zu den Informationen? Das ist doch die Grundsatzfrage. Das neu 170 Mio. Franken jährlich zahlende Volk wird durch immer raffiniertere Zugangsbeschränkungen von den zur politischen Meinungsbildung unerlässlichen Informationen ausgeschlossen. Doch das wird vor der Abstimmung über das Mediengesetz nicht diskutiert. Denn die Träger der veröffentlichten Meinungen werden alle aus den diversen Förderkässelis bedient. Und neue Medienprojekte kommen nur im Verhältnis ihrer Aboerträge zum Zuge. Grosse Herausforderung ist «das Durchsetzen von Bezahlmodellen», schreibt der Verlegerverband in seiner Medienmitteilung zur VSM-Mitgliederversammlung von Mitte September (persönlich.com Newsletter vom 17. 09 2021). Da wird die Katze aus dem Sack gelassen. Moralinschwanger wird die «Gratismentalität» beklagt. Doch so wie unbestritten die Schulbildung als Zugang zur Erwachsenenwelt «gratis» ist, muss auch der Zugang zu den für das Funktionieren der direkten Demokratie relevanten Informationen und unterschiedlichen Meinungen allen offenstehen. Ebenso wie Matthias Künzler lesen heute immer mehr, hauptsächlich Jüngere, die News auf dem Smartphone. Im Unterschied zum Medienwissenschaftler können sie sich aber nicht eine Vielzahl von Abos leisten, sie informieren sich aus den sozialen Medien und werden dort von den Paywalls der Qualitätsmedien, die sie als Steuerzahlende mitfinanzieren sollen, ausgesperrt. Das ist demokratiepolitisch sehr bedenklich.
  • Victor Brunner, 15.12.2021 09:55 Uhr
    Künzler: "Medienförderungspaket während des gesamten Jahres ausgiebig debattiert und verabschiedet....". Debattiert und verabschiedet wurde es in den Parlamenten. In den Medien, Print, Online, TV die vom Paket profitieren sollen findet die Debatte kaum oder nicht statt! Die Medien möchten die Debatte gar nicht führen weii es keine sachlichen Argumente für die "Sozialhilfe" gibt. Die 170 Mio jährlich werden ohne Mehrwert für die Konsumentinnen versickern.
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